DAS VERGESSENE GENRE

Bei einem Survival Game ist es für den Spieler fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass er sich nicht nur um das nackte Überleben seines Charakters im Allgemeinen kümmern muss, sondern auch um dessen Bedürfnisse. Einer der wichtigsten Bedürfnisse sind hierbei der Hunger und die daraus resultierende Nahrungsbeschaffung. Auf verschiedenste Art und Weise wird immer wieder darauf hingewiesen, sei es durch einen Dialog oder ein Element im UI (User Interface), dass Nahrung benötigt wird, damit der Charakter nicht verhungert.

Wechseln wir kurz das Genre und springen in die wundersame Welt von Hyrule in Breath of the Wild. Wer es gespielt hat, kennt den Schmerz, wenn der hübsche grüne Kreis, der die Ausdauer unseres Helden anzeigt, bei einer kleinen Klettereinlage, kurz vor dem Erreichen der Klippe leer ist und wir abstürzen. Auch für das Rennen wird die Ausdauer benötigt und kann durch Einnahme von gekochtem Essen temporär oder durch Bewältigung von Rätseln dauerhaft erweitert werden.

Dass beide Mechaniken ihren Ursprung in menschlichen Bedürfnissen bzw. Fähigkeiten haben, bedarf gewiss keiner genaueren Erklärung. Doch wo haben sie ihren Ursprung im Zeitstrahl der Videospielentwicklung? Beide Gameplay Mechaniken, die der Ausdauer und die des Hungers (Nahrungsbeschaffung) sind älter als ihnen manchmal zugeschrieben wird. Sie stammen aus einer Zeit, als Computerspiele bereits eine breite Masse begeisterten, aber eher selten sich einer grafischen Darstellung bedienten bzw. diese nicht am Bildschirm stattfand.

Die Rede ist vom Genre der Interactive Fiction oder auch Text-Adventure (auch interaktive Text-Adventure). Diese Art von Spiel läuft, um Sheldon Cooper[1] zu zitieren, auf dem leistungsstärksten Grafikchip der Welt, unserem Gehirn.
Auf dem Bildschirm, der damals noch ohne grafische Windows Oberfläche zurechtkam, wird beim Spielstart kurz erklärt, was genau man gerade gestartet hat, wer die Entwickler sind, und schon blinkt der Cursor bestimmend sowie dezent aufdringlich, denn er wartet auf eine Eingabe. Es gibt keine Cinematics, keine aufwendigen Introductions von Charakteren oder ähnliches, man fängt direkt an und durch Manuals, die oft dem Spiel beilagen, sowie der direkten Eingabe von Befehlen, muss sich alles weitere erarbeitet werden. (Abb. 1 & Abb. 2)

Seine Anfänge fand dieses Genre am MIT zum Ende der 1970er Jahre hin. Zuvor gab es bereits erste Spiele wie The Cave, welches von William Crowther für seine Kinder entwickelt hatte und später zu Adventure oder auch Colossal Cave Adventure wurde. Diese Version gelangte an das MIT, wobei bis heute nicht genau bekannt ist wie, und wurde von Marc Blank, Dave Lebling und einigen anderen Studierenden weiterentwickelt. All dies mündete in dem Release von Zork, im Jahre 1980. [3]
Weitere Vertreter dieses Genres folgten und 1983 brachte Infocom Planetfall auf den Markt, was zu einem Bestseller wurde. Entwickelt und geschrieben wurde es von Steve Meretzky. [Quelle]
Kurzer Zeit danach wurde kleinere, grafische Elemente mit in die Spiele eingefügt, so dass man sich über Orte oder Begebenheiten ein besseres Bild machen konnte. Dieser Vermischung hat sich bis heute gehalten und es gibt immer noch vertretet dieses Genres. Einer dieser Vertretet ist [I] doesn’t exist – a modern text adventure welches bei Steam erscheinen wird und zurzeit eine Demo Version anbietet. [Link und Info in den Quellen]

Die Erfahrung beim Spielen ähnelt sehr dem Lesen eines Buches, wird allerdings um eine interaktive Komponente erweitert und es besteht die Möglichkeit, natürlich nur in einem vorgegebenen Rahmen, Entscheidungen zu treffen, die dann zu weiteren Ereignissen führen. Alles, was das Spiel zeigt oder mitteilen möchte, geschieht in Textform. Befehle oder Aktionen zur Steuerung des zu spielenden Charakters müssen in schriftlicher Form über die Tastatur eingegeben werden. Auf dem Bildschirm selbst ist oft nur Text zu sehen (simple Grafikelemente kamen später erst dazu). Aktionsverben sind hierbei ein Hauptbestandteil sowie verschiedene Formen der Kommunikation, je nachdem wie das Spiel aufgebaut ist.

Ähnlich wie einem Buch und unähnlich den heutigen Videospielen muss man sich, so wie auch das Zitat von Sheldon Cooper es bereits angibt, sich vieles selbst vorstellen. Das Environment, Umgebungen, Aussehen der Charaktere, charakterliche Eigenschaften die nicht vom Spiel preisgegeben werden und noch vieles mehr. Dies sorgt nicht nur für eine intensivere Erfahrung, sondern kommt auch der Immersion zugute. Durch das Mitwirken am Geschehen und dem gleichzeitigen Erdenken dieser ganzen Welt, die sich vor einem ausbreitet, erlebt man eine intensivere Spieleerfahrung. Bei der heutigen Technik, die dafür sorgt, dass Menschen umherstolpern, weil die VR-Brille ein zu intensives Erlebnis bietet, scheint dieses Behauptung kaum vorstellbar. Doch erinnert man sich an das Lesen eines Buches und kombiniert diese Erfahrung, vorausgesetzt es war ein gutes Buch, mit der Möglichkeit der Interaktion an der gelesenen Geschichte, so ist dies gar nicht mal mehr so abwegig.

Der etwas dramatisch wirkende Titel wurde deshalb so gewählt, da nicht selten darauf eingegangen wird, wie Pong doch das erste Videospiel war, was als alleinstehende Aussage bereits falsch ist, denn es war das erste kommerziell erfolgreiche Videospiel, was würde William Higinbotham[2] wohl dazu sagen? Nach Pong folgt dann oft eine Lücke, die eigentlich durch das oben erwähnte Genre gefüllt wird, und es geht weiter mit der Erwähnung von Spielen, die sich bereits der grafischen Darstellung bedienen.

Doch was bringt uns diese Miniexkursion?

  • Von den Anfangs erwähnten Mechaniken finden sich einige in Text-Adventuren wieder, die später für japanische Spiele prägend waren.
  • Viel wichtiger ist allerdings die Tatsache, dass diese Text-Adventure mit einer der Grundlagen darstellen, die zum heutigen Boom von Adventure Games auf dem japanischen Videospielemarkt führten. Text-Adventure sind die Basis für das Adventure Genre, aus dem unter anderem die Visual Novels und auch die Dating-Sim Spiele entstanden sind. Aber natürlich auch Spiele aus der The Legend of Zelda Reihe, Phantasy StarFinal Fantasy und noch einige mehr.
  • Text-Adventure kamen hauptsächlich auf dem US und Europäischen Markt gut an. In Japan tat man sich noch schwer, denn aufgrund der geringen Auflösung konnten die teils komplizierten Schriftzeichen nur schwerlich dargestellt werden.
  • Mit Blick auf eine globale Videospielkultur, und den oben aufgezählten Spielereihen, die alle japanischen Ursprungs sind, lässt sich hier nicht nur eine Form der globalen Kommunikation feststellen, sondern auch eine gegenseitige Beeinflussung die wiederum auf eine globale Kultur, in diesem Fall eine globale Spiele- oder Videospielkultur, schließen lässt.

Lange Rede, kurzer Unsinn! Wer gerne mal schauen möchte, wie tief der Kaninchenbau wirklich geht und was vielleicht an dessen Ende liegt, der sollte sich dem Genre der Text-Adventure durchaus mal hingeben, es gibt genug Möglichkeiten dies zu tun (im Anschluss eine kleine Auswahl plus legale Download Möglichkeiten). Und wer weiß, vielleicht findet ihr ja weitere Ursprünge einer Spielmechanik, die heute für selbstverständlich erachtet werden.

Empfehlungen & Quellen

Planetfall (gilt als einer der erfolgreichsten Vertreter dieses Genres)
Leider nur in einem Bundle bei GoG (Good old Games) zu erhalten.

Stationfall (Nachfolger von Planetfall, kann über Abandonware bezogen bzw. online gespielt werden)
https://www.myabandonware.com/download/4e1-stationfall (direkter Download des Manuals / abgerufen am 26.11.2022)
https://www.myabandonware.com/game/stationfall-1ny/play-1ny (über den Play Button wird das Spiel gestartet / abgerufen am 26.11.2022)

Zork (Auch als Dungeon oder Adventure bekannt, ist allerdings für Anfänger nicht geeignet, da Räume per Zufallsprinzip betreten und verlassen werden)
https://www.myabandonware.com/game/zork-26j/play-26j (über den Play Button wird das Spiel gestartet / abgerufen am 26.11.2022)

Per Anhalter durch die Galaxis (kann auf der BBC Homepage online gespielt werden, hat allerdings bereits einige Grafikelemente)
https://www.bbc.co.uk/radio4/hitchhikers/game.shtml (Einführung / abgerufen am 26.11.2022)
https://www.bbc.co.uk/programmes/articles/1g84m0sXpnNCv84GpN2PLZG/the-game-30th-anniversary-edition (Link zum Spiel selbst / abgerufen am 26.11.2022)

[I] doesn’t exist – a modern text adventure (modernes Text-Adventure mit animierten Grafikelementen)
https://store.steampowered.com/app/1943420/I_doesnt_exist__a_modern_text_adventure/ (kann als Demo bei Steam heruntergeladen werden / abgerufen am 26.11.2022)

Gute Quellen für den Einstieg und weiterführende Informationen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Interactive_Fiction
https://de.wikipedia.org/wiki/Adventure#Textadventures

Disclaimer:
Dieser kleine Abriss erhebt keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit. Lediglich soll er aufzeigen, wie verwoben die Ursprünge von Videospielen sein können, welche Rolle eine globale Vernetzung spielt und wo das, was wir heute gerne in unserer Freizeit machen, einen Teil seines Ursprunges hat. Weiterhin soll es einen Anreiz bieten, sich nicht nur den aktuellen AAA-Spielen zu widmen, sondern auch mal einen Schritt zurückzugehen und zu schauen, was früher gespielt wurde und welche Reize diese Spiele bereithalten, sei es im damaligen oder heutigen Kontext. Denn oft lässt sich hier auch ein gewisser Zeitgeist feststellen, der von globalen Themen seinen Weg in die Welt der Videospiele findet.

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[1] Ein Charakter aus der Fernsehserie The Big Bang Theorie, die von Jim Parsons verkörpert wird. In der Folge „Finger Weg von meiner Schwester“ (Staffel 4 Episode 6) spielt er Zork und versucht, sich durch die Unwegsamkeit des Spiels zu kämpfen.

[2] Mit Hilfe eines Computers und eines Oszillographen hat William Higinbotham 1958 das erste Videospiel konstruiert. Es gab zwar Anfang der 1940er Jahre bereits erste Maschinen, die als Spielmaschinen oder Computerspielmaschinen bekannt wurden, allerdings noch nicht als Videospiele zu klassifizieren sind.

[3] PC Joker Ausgabe aus dem November 1996, Seite 44 “Adventures Special Teil I: Wie alles begann”
Abgerufen am 07.02.2023 aus dem Internet Archive

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Abb. 1 – Der Titlescreen Text-Adventure Stationfall
Abb. 2 – Ein Screenshot aus dem Text-Adventure Stationfall

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