Herzerwärmend und wohltuend – Eine ganz andere Art von Videospiel

Stardew Valley (ConcernedApe, 2016) ist gewiss nicht der erste, aber wohl einer der bekanntesten Vertreter des Wholesome Games Genre, neben Veteranen wie Animal Crossing (Nintendo, 2001) und Harvest Moon (Amccus, 1996). Spiele, in denen es etwas ruhiger vonstattengeht. Der Anteil an Dingen wie Gewalt oder Horror ist gering bis gar nicht vorhanden und wenn doch, dann werden sie in einer verniedlichten oder verharmlosten Form dargestellt. Nicht selten geht es um die Interaktion mit anderen Spielern oder im Spiel selbst vorkommenden Charakteren, die oft ein hohes Maß an charakterlicher Ausarbeitung aufweisen. Socialising steht im Vordergrund und dies auch zu vertiefen, dabei gibt es auch oft eine Form der Messung, wie weit die sozialen Bindungen bereits vorangeschritten sind. 

Ob wir hier allerdings direkt von einem Genre sprechen sollten, ist fraglich, denn auch wenn die Merkmale für das Wholesome Game Genre relativ klar zu sein scheinen, gibt es weitere Vertreter, die unterschiedlicher, im Vergleich zu den oben erwähnten Spielen, nicht sein könnten. Natürlich möchte ich hier keine Diskussion über Gerne vom Zaun brechen, das können andere wesentlich besser, zum Beispiel Thomas H. Apperley in Genre and game studies: Toward a critical approach to video game genres, ein sehr lohnender Artikel, der durchaus einiges auf den Kopf stellen könnte, soweit man sich darauf einlässt. (Aber bitte nicht vergessen, dass es sich bei diesem Artikel um eine wissenschaftliche Arbeit der Game Studies handelt und vielleicht nur bedingt auf das anwendbar ist, was uns tagtäglich an Gerne Bezeichnungen über den Weg läuft!)

Doch genug mit der wilden Theorie, schauen wir uns ein paar Vertreter an, welche, so bin ich davon überzeugt, auch zu den Wholesome Games gehören, aber eher weniger zu diesem Genre gezählt werden. 

GRIS (Nomada Studio, 2018)

GRIS hat in dieser Liste einen besonderen Platz, und vielleicht habe ich das Spiel, unbewusst, aus diesem Grund auch auf den ersten Platz gesetzt. Über die Wertigkeit des Spiels sollte dies nur wenig aussagen. GRIS ist deshalb so besonders, weil es sich für mich wie ein würdiger Journey Nachfolger anfühlt, auch wenn das Spiel gewiss nicht die Intention hat, diesen Platz einzunehmen. 

Das Spiel entführt uns in eine faszinierende Fantasywelt, die leider trist und ergraut ist. Farben lassen sich nur schwerlich erkennen. Wir erwachen und sofort möchte das Spiel, ohne langatmiges Tutorial, uns erstmal zeigen, wie alles funktioniert und was wir machen können. Ohne es zu merken, reißt es uns damit direkt in seinen Bann, was gewiss auch an der cineastischen Darstellung der Welt liegt. In genau den richtigen Momenten zoomt das Spiel so weit heraus, dass die Tragweite unseres Handelns uns bewusst wird. Gleichzeitig erkennen wir, dass all das, was wir bereits erblicken durften, nur ein Bruchteil dieser Welt ist. Je weiter wir fortschreiten, desto mehr Rätsel warten auf uns, welche clever designed sind und auch einen eventuell zweiten Durchgang des bereits beschrittenen Abschnittes wie einen Spaziergang erscheinen lassen, gerade weil man genau weiß, dass man noch nicht genug gesehen hat.

Natürlich gesellen sich auch Gefährten mit auf unsere Reise. Manchmal führen sie uns, manchmal begleiten sie uns und manchmal geben sie uns kleine Rätsel auf. 

GRIS zeigt, dass ein Wholesome Game nicht zwingend gut geschriebene Dialoge oder Farming braucht. Auch mit einem Charakter, welcher nicht ein einziges Wort spricht, lässt sich unglaublich viel ausdrücken. Denn gerade in unserer lauten Welt, welche audiovisuell uns täglich vor neue Herausforderungen stellt, ist solch ein Spiel ein willkommener Rückzugsort. Hier lässt sich träumen, fantasieren und eine Welt entdecken, die unglaublich schön ist. 

The last Campfire (Hello Games, 2020)

Wir spielen den kleinen Ember und wurden von unseren Kameraden, durch den Verlust unseres Paddels, abgeschnitten. Uns offenbart sich eine kleine Welt, welche sich durch ihre Unwegsamkeit und die Abwesenheit von anderen Personen und Wesen auszeichnet. Doch nicht so schnell, lösen wir verschiedene geartete Puzzel können wir Seelen befreien. Diese Seelen führen uns zu einem Feuer und schaffen langsam Leben in einer Welt, in der es, dem Anschein nach, keines mehr gab. 

Geführt werden wir hier von einer Stimme, die der Synchronsprecherin und Schauspielerin Rachel August gehört. Mit ihrem ungewöhnlichen Akzent schafft sie eine Wohlfühlatmosphäre, die sich in das Setting nahezu perfekt einfügt. Verschiedene Charaktere werden mit unterschiedlicher Betonung gesprochen, doch dabei verliert sie nie die Einzigartigkeit und den Akzent in ihrer Stimme. 

Das Zusammenspiel zwischen einem, eigentlich stummen, Protagonisten, einer Welt voller Geheimnisse die aber dennoch einladend wirkt, vielen Rätsel und der Stimme von Rachel August entsteht ein Spiel welches sich wie eine wohltuende Decke an einem verregneten Tag anfühlt. Es verlangt gerade so viel von einem, dass es nie wirklich fordernd wirkt. Gerne möchte man immer wieder ein Stück weiterspielen, denn die Frage, was sich hinter der nächsten Öffnung oder dem nächsten Steinbogen befindet, ist ähnlich wie die, was wohl im nächsten Kapitel eines guten Buches passiert. 

Ein klassisches Puzzle Game sagen die einen, doch all diese Komponenten machen es durchaus auch zu einem Wholesome Game. Ich würde mich sogar hinreißen lassen und behaupten, dass Rachel August die Seele ist, die wir finden und die uns durch das ganze Spiel führt, genauso wie Ember immer wieder von Seelen zu einem titelgebenden “Campfire” geführt wird. 

Röki (Polygon Treehouse, 2020)

Röki erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchen namens Tove, welches ihren entführten Bruder wiederfinden muss. So weit so simple, wäre da nicht dieses kleine Detail, mit großer Wirkung, da sie sich dabei durch die nordische Mythologie begeben muss, um herauszufinden, wie sie ihren Bruder zurückbekommt und wer hinter all dem steckt. Angenehm hierbei ist die Tatsache, dass man sich der ganzen Klischees entledigt und sich dem Teil der Mythologie widmet, die wenig bis gar nichts mit einer Donnergott zu tun hat. Hierdurch wird eine Welt erschaffen die diverser kaum sein könnte. Auf unserer Reise begegnen wir kleinen wie großen Monstern, vor den einen müssen wir flüchten, die anderen müssen wir befreien. Verschiedene Aufgaben erfüllen, Wege frei Räumen und knifflige Rätsel lösen. Dabei kommen wir der Wahrheit um die Entführung unseres Bruders immer näher und tauchen tiefer in eine Welt ein, die mit ihrer Faszination zu fesseln und verzaubern weiß. 

Das Environment, die Geschichte und das angenehme Sounddesign, speziell das von Tove, bilden eine in sich geschlossene Einheit. Man wird schnell mitgerissen und fühlt sich in dieser ungewohnt neuen Welt sofort wohl, was gewiss auch an der Komposition des Environments liegt, denn dieses wird immer wieder in der Vordergrund geholt, ohne dass die Charaktere dabei verloren gehen. Der dezent cartoonige Grafikstil unterstützt dies. 

All dies zusammen ergibt ein Wholesome Game in der nordischen Mythologie, welche dadurch überzeugt, dass alles aus einem Guss ist. Trotz der Spannung kann man sich wunderbar zurücklehnen und all die erwähnten Facetten genießen. 

Far: Lone Sail (Okomotive, 2018)

Die Welt ist zugrunde gegangen und nur noch wenig von ihr ist übrig geblieben. Hier finden wir Lone, eine tapfere Überlebende in dieser dystopisch anmutenden Welt. Mit ihr zusammen müssen wir ein altes Schiff wieder auf Vordermann bringen. Damit gilt es nicht nur immer wieder nach Treibstoff zu suchen, sondern auch, unser Schiff daran zu hindern, nicht auseinanderzufallen. Mit kleinen Aufgaben und Puzzles werden wir dabei auf Trab gehalten. Was dabei nicht zu kurz kommt, ist der Genuss dieser vollends zerstörten Landschaft, die eigentlich nur wenig zu bieten hat. Aber genau hier weiß Far: Lone Sail zu faszinieren, denn wie auch bei den anderen Spielen ist unsere Reise nie mit Stress verbunden, auch wenn auf dem Schiff schon mal ein Feuer ausbricht. Somit haben wir genug Zeit uns diese Welt genauer anzuschauen, in ihr einzutauchen und uns von ihr mitreißen zu lassen. Ist es vielleicht sogar unsere Welt und wir bekommen einen Ausblick auf das, was uns bevorsteht?

Far: Lone Sail weiß durch seine Schlichtheit zu begeistern und trotz dieser trostlosen Welt findet man an ihr gefallen. Es ist ein eher kurzweiliges Abenteuer, aber das ist absolut nichts Schlechtes. Denn man bekommt genug Zeit in diese Welt einzutauchen, Lone auf ihrer Reise zu begleiten und, wie bei all den anderen Spielen auch, runterzukommen und etwas abzuschalten, soweit man sich eben darauf einlassen kann. Gewiss kein typisches Wholesome Game aber vielleicht genau aus diesem Grund ist es wiederum eins und zeigt eindrucksvoll, was dieses Genre an Vielfalt zu bieten hat. 

Spiritfarer (Thunder Lotus, 2020)

Traumhafte Sonnenaufgänge auf hoher See, navigieren durch stürmische Gewässer und das alles auf einem Schiff, welches einzigartiger nicht sein könnte. Wir verkörpern Stella und müssen ein schweres Erbe antreten, denn wir treten an die Stelle von Charon, dem Fährmann aus der griechischen und römischen Mythologie. Er ist es, der die Seelen über den großen Fluss in das Reich der Toten geleitet hat. Diese Aufgabe ist nun unsere und begleitet werden wir von Daffodil, unserer treuen Katze, die immer an unserer Seite ist. 

Spiritfarer bietet aber noch viel mehr, denn die Seelen auf unserem Schiff manifestieren sich in äußerst Anspruchsvolle Gäste für die wir eigene Quartiere, Produktionsstätten und Essen bereitstellen müssen. Die Rohstoffe hierfür finden sich auf verschiedenen Inseln, die wir in unserer Schiffseigenen Navigation ansteuern können. Auf dem Weg dorthin müssen wir durch Unwetter, bei denen wir Blitze sammeln können, und dunkle Stürme navigieren. 

All dies, und noch viele weitere schräge Charaktere, bieten eine Atmosphäre, die einen zur Entspannung einlädt. Denn auch wenn einiges wie Stress klingt, so können wir uns immer noch, während unser Schiff sich auf dem Meer durch die Wellen schlägt, auf das Heck begeben und einfach etwas angeln. Denn auch wenn es die Option des Schnellreisens gibt, so liegt es am Ende an uns, ob wir sie nutzen oder uns einfach einen Kurs setzen, der durchaus auch mal etwas länger dauern kann. 

Manchmal können die Charaktere ein wenig anstrengend sein, das muss ich an dieser Stelle leider zugeben. Nichtsdestotrotz entsteht schnell ein äußerst wohliges Gefühl beim Erkunden und Erforschen dieser faszinierenden Zwischenwelt. Dabei versäumt das Spiel zu keinem Zeitpunkt einem immer wieder neue Aufgaben oder Ziele zu präsentieren, so dass bei all dem die Spannung nicht zu kurz kommt. Ein Wholesome Game, welches viel auf Socialising basiert, da man immer wieder mit den Charakteren auf dem Schiff interagieren muss, gerade weil sie ihre Bedürfnisse auch immer wieder ändern und einen vor neue Herausforderungen stellen. Zum Glück ist das nie Stress und man kann sich für die einzelnen Aufgaben sowie das Sammeln von Gegenständen auch mal etwas länger Zeit lassen. 

Fazit

Wholesome Games waren schon immer sehr facettenreich, denn auch wenn man Stardew Valley als Farming Game bezeichnet, hat es doch noch viel mehr zu bieten. So verhält es sich mit dem ganzen Genre, welches gefühlt sich noch in den Kinderschuhen befindet. Dabei gibt es Vertreter bereits nicht erst seit Stardew Valley oder Animal Crossing, denn auch Harvest Moon würde ich hier definitiv mit aufnehmen. 

Aber was genau ist denn nun ein Wholesome Game?
Objektiv betrachtet könnte ich jetzt all die Eigenschaften aufzählen, die wir bei den obigen Spielen finden, doch selbst dann hätte ich eine Liste, die sich nicht auf jedes Spiel anwenden lässt und somit keine allgemeine Gültigkeit aufweist (eine Problematik der Genre, die auch von Thomas H. Apperley thematisiert wird). Subjektiv betrachtet würde ich sagen, dass Wholesome Games sehr ruhig sind. Sie nehmen sich selbst etwas zurück, stressen in ihrer Darstellungsweise und auch vom Gameplay her eher selten den Spieler. Sie sorgen dafür, dass man sich zurücklehnen kann, abschalten kann und selbst etwas zur Ruhe kommt. Und ja, ich kenne Menschen, die das auch bei Counter Strike (Valve, 2000) oder World of Warcraft (Blizzard Entertainment, 2004) können, aber beides würde ich auf keinen Fall als Wholesome Game bezeichnen.

Ein weiterer Punkt wäre die Geschichte und wie sie erzählt wird. Hier werden bei Wholesome Games oft subtile Erzählstrukturen gewählt, die nicht immer gleich als diese zu erkennen sind, aber genau aus diesem Grund das Genre wiederum interessant machen. Natürlich gibt es in der Regel einen Hauptplot, der sich dem Spieler auch direkt offenbart, doch nicht selten steckt noch viel mehr dahinter.  

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass Wholesome Games uns Eskapismus in seiner reinen Form, wie wir ihn nur allzu gern suchen, bieten. In den oben genannten Spielen finden wir ihn auf jeden Fall, auch wenn wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass es auch noch eine reale Welt gibt, obgleich die nicht immer schön und angenehm daher kommt. 

Am Ende gibt es zwar klare Vertreter dieses Genres und gewiss ist es lohnenswert, sich zu fragen, ob diese Genre Beschreibung durchaus mehr Beachtung verdient bzw. Einzug in den Alltag finden sollte. Denn ich glaube, dann würde man mehr darüber reden und die von mir genannten Spiele würden ihr Nischendasein ablegen können. Doch ist mir auch bewusst, dass es für Indie-Titel oft schwer ist, sich gegen die großen Triple-A Titel zu behaupten.  

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