[…] wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben.

Diesem Blade Runner Zitat habe ich mich bedient, da es zum Artikelthema hervorragend passt. Denn in den letzten Jahren sind immer mehr Onlinestores vom Netz gegangen und haben damit einiges an Geschichte und Videospielen mitgenommen. Was hat das für Folgen, gerade in Bezug auf eine globale Videospiel-Historie? Und wie kommt man an Spiele, die zusammen mit den Stores abgeschaltet wurden?

Videospiele sind mittlerweile keine kleinen Nebenprodukte einer immer stetig wachsenden Techindustrie mehr. Allein in Deutschland hat die Spieleindustrie fast 10 Milliarden Euro (inkl. Hardware) 2023 umgesetzt (Quelle). Doch was können wir aus den Anfängen bzw. aus der frühen Zeit tatsächlich noch spielen, zum Beispiel für eine wissenschaftliche Recherche oder aus Nostalgie Gründen? Laut der Video Game Historie Foundation sind 87% der klassischen Videospiele in den USA nicht mehr verfügbar (Quelle). Die Erhaltung von Videospielen und der Videospielkultur, gerade im Bereich der klassischen Videospiele, wird immer mehr zu einem wichtigen Thema.

Einführung

Wenn ich mich recht entsinne, dann hat damals die Virtual Console (inkl. Wii Shop Channel) der Wii den Anfang gemacht. Doch für mich fing es bereits viel früher an, nämlich am 31. Juli 2009. Viele werden sich jetzt wundern, warum genau dieses Datum? An diesem Tag wurden die Server von The Matrix Online (Monolith Productions, 2005) abgeschaltet und mich hat das damals zerstört.

Ich weiß, dass im Allgemeinen das Spiel eher mäßig angekommen ist, doch für mich war es einfach alles. Allein der Stil, die Welt und die Interaktion mit anderen Spielern war unglaublich faszinierend. Doch am 31. Juli 2009 war das alles vorbei und auch wenn es Bestrebungen in der Community gab, so wurden Fan Server niemals so stabil, dass man wirklich auf ihnen spielen konnte. Videospiele waren plötzlich vergänglich! FN1

Zurück zur Virtual Console, sie wurde, zusammen mit dem Wii Shop Channel, am 30. Januar 2019 abgeschaltet. Für die Wii konnten somit keine Titel mehr online erworben werden. Am 27. März 2023 folgen die Virtual Console sowie der Onlineshop für die Wii U und den 3DS. Dies allerdings nur exemplarisch bzw. um ein Beispiel für den Anfang zu nennen, Informationen zu weiteren Shops folgen.

Um das nochmal zu verdeutlichen. Die gekauften Titel waren immer noch auf den jeweiligen Konsolen verfügbar und man konnte sie weiterhin spielen. Doch neue Titel konnten nicht mehr gekauft werden und alle Titel, die in den Shops verfügbar waren, waren erstmal weg.

Es bedeutet nicht, dass die Spiele nicht an anderer Stelle wieder auftauchen können. Allerdings hatte der Wii Shop schon einige spezielle Kategorien, denn es gab Titel für C64, PC-Engine, MSX und NeoGeo.

Was bedeutet das genau?

Im schlimmsten Fall könnte dies bedeuten, dass es diese Spiele einfach nicht mehr gibt. Wenn die Lizenzen nicht mehr aufgegriffen werden und sich niemand die Mühe macht, einen Emulator oder Portierungen für neuere Hardware zu schreiben, dann existieren diese Spiele nicht mehr bzw. sind gefangen auf ihrer Ursprungshardware oder im obigen Beispiel auf der Wii.

Das klingt zwar etwas dramatisch, ist aber von der Wahrheit nicht allzu weit entfernt. Denn natürlich existieren die digitalen Spiele immer noch auf den Konsolen, auf denen sie einst heruntergeladen wurden und auch die physischen Exemplare stehen weiterhin in den Regalen derer, die sie erworben haben.

Jedoch verbleiben sie dort einfach und werden weder weitergereicht noch schaffen sie es in eine Art Archiv. Natürlich gibt es immer noch viele, die ihre Sachen an Retro-Fans bzw. Fans von klassischen Videospielen verkaufen und der Markt ist riesig. Doch auch er hat seine Grenzen, vor allem wenn es darum geht, dass hier das große Geld verdient werden soll, anstatt einfach nur Waren zu verkaufen und das zu anständigen Preisen (Preise von klassischen Videospielen, gerade in der PAL Region ist nochmal ein ganz anderes Thema).

Konservatorien

Da die Hersteller von Hardware sich dazu nicht wirklich bereit erklären bzw. sie nicht immer so lieb und nett sind, ihre Spieldatenbank (aus den jeweiligen Shops) der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bleiben nur die Konsolen selbst als kleine Mini-Datenbank. Natürlich ist auf diesen aber auch nur beschränkt Platz, gerade auf den älteren, die sich nur bedingt mit externen Speicher erweitern lassen.

Konsolen werden hierdurch zu Konservatorien, das beste Beispiel ist der von Kojima Hideo erstellte PT Trailer zu seinem Silent Hill Projekt, welches damals nicht weitergeführt wurde. Der Trailer existiert nur noch auf den PS4 Konsolen, auf denen er damals heruntergeladen wurde. Zwar ein extremes Beispiel aber dennoch gilt es für Titel, die nur online bzw. digital erschienen sind.

Ähnlich erging es dem Titel Scott Pilgrim vs. the World: The Game (Ubisoft Montreal, 2010), welcher nur für die PS3 und XBox 360 erschien und eine Zeitlang sah es so aus, als würde sich daran auch nichts ändern. Glücklicherweise haben sich Publisher und Entwickler geeinigt und mittlerweile ist der Titel auch für aktuelle Konsolen verfügbar.

Nichts ist sicher

Sony hat uns in diesem Jahr (2024) gezeigt, dass auch der Inhalt von Konsolen nicht sicher ist und sie vollen Zugriff darauf haben. So wurde die Demo von Stellar Blade (Shift Up, 2024) für die PS5 zu früh in den Store gelegt und einige konnten sie sich bereits herunterladen, installieren und spielen. Als der Fehler bemerkt wurde, hat Sony nicht nur die Demo aus dem Store entfernt, sondern direkt auch von den Konsolen, auf denen sie bereits installiert war. (Quelle)

Wir spinnen das ganze ein wenig weiter. Nun möchte ein Hersteller einer Konsole seinen Shop schließen, aber gleichzeitig verhindern, dass die Spiele noch weiterhin gespielt werden können, zumindest die rein digitalen Titel. Das wäre äußerst verwerflich, von der rechtlichen Seite mal abgesehen, denn der Besitzer der Konsole hat das jeweilige Spiel ja käuflich erworben. Doch das Beispiel von Sony hat gezeigt, dass es mit dem Schließen eines Stores auch möglich wäre, die Titel von der jeweiligen Konsole zu löschen.

Ich würde zu gerne schreiben, dass ich nicht glaube, dass so etwas passieren würde. Allerdings hat die jüngste Vergangenheit uns gezeigt, dass es durchaus Individuen in der Tech- und Spieleindustrie gibt, die nicht nur auf eine solche Idee kommen, sondern sie auch durchziehen würden.

Weitere Shops, die geschlossen wurden

Am 02. März 2021 hat Sony bekannt gegeben, dass sie in naher Zukunft den PSP, PSVita und PS3 Store schließen werden. Dies rief heftige Kritik gegen den Konzern hervor und Sony ruderte zurück. Der PSVita und PS3 Store sind bis heute vorhanden, der PSP Store ist theoretisch gesehen auch immer noch offen, allerdings funktioniert die App auf der PSP nicht mehr. Titel können aber an anderer Stelle heruntergeladen werden.

Am 29. Juli 2024 schloss der XBox 360 Store seine Pforten. Allerdings ist Microsoft hier einen Kompromiss eingegangen und viele Titel sind über eine Abwärtskompatibilität noch vorhanden und können in der aktuellen Store Version bezogen werden.

Auch wenn sowohl Sony als auch Microsoft hier durchaus bereit waren nochmal einen Kompromiss einzugehen, zeigt es jedoch recht deutlich, dass hier Intentionen vorhanden sind, die Shops vom Netz zu nehmen und somit eben auch die Verfügbarkeit der Bibliotheken. An dieser Stelle soll aber auch nochmal erwähnt werden, dass physische Titel durchaus noch spielbar sind, gerade mit der Kompromisslösung von Microsoft. Digitale oder klassische Titel sind in der Regel die, die bei der Schließung eines Shops nicht mehr verfügbar sind.

Verfügbarkeit

Hier nehme ich mir jetzt die Freiheit heraus und fantasiere ein wenig. Denn manchmal träume ich davon, dass die großen Konsolenhersteller sich darüber einigen, wer welche Bibliothek sich aneignet, neben ihren eigenen.

So könnte man sagen, dass man bei Sony auf die alten Playstation-Bibliotheken Zugriff hat und dazu kommt noch zum Beispiel die SEGA Bibliothek.

Bei Nintendo liegen neben den eigenen die ganzen alten japanischen Systeme wie FM Towns, MSX, PC-98 und Neo-Geo.

Microsoft kümmert sich um seine XBox Bibliotheken und nimmt noch die alten PC-Titel mit, damit hätten wir das auch abgedeckt.

Ja, das wäre eine absolute Mammutaufgabe und ich höre schon, dass einige auf ihrer Playstation auch die MSX Sachen spielen wollen und andere wiederum mit ihrer Switch auch SEGA Spiele gerne hätten. Dafür müsste eine Lösung gefunden werden oder man ist einfach glücklich, dass eben all die alten Bibliotheken noch verfügbar sind und gibt sich mal mit etwas zufrieden. Ich weiß, ist keine sonderlich moderne Einstellung, aber ich bin ja auch schon etwas älter.

Die nackte Realität sieht leider vollkommen anders aus, denn all die alten Bibliotheken sind vollkommen zersplittert und auf verschiedenen Systemen, dem Anschein noch ohne Konzept, verfügbar. Man hat eben versucht, so zumindest der Eindruck, es allen recht machen zu wollen, und hat sich dabei ins Chaos gestürzt.

Gibt es eine Lösung?

Schwierig! Denn etwas, was ich noch nicht wirklich erwähnt habe, sind Lizenzen und Geld.

Einerseits ist die Lizenzlage von Spielen nicht immer klar bzw. wurde selbige soweit herumgereicht, dass niemand mehr genau weiß, wen man ansprechen soll, sollte man mit dem Spiel etwas machen wollen. Zudem kommt noch hinzu, dass oft auch der originale Quellcode nicht mehr verfügbar ist, da man damals weder an Erhaltung noch an Neuauflagen (Remakes / Remaster) gedacht hat.

Geld ist nochmal eine ganz andere Sache, denn das damalige “Wir wollen Spiele machen, um Millionen zu begeistern” ist dem heutigen “Wir wollen Spiele machen, um Millionen zu kassieren” gewichen. Dies hat vielschichtige Gründe, unter anderem weil Spiele, genauso wie Filme, unglaublich teuer geworden sind, aber auch weil Anzug tragende Sesselpupser an der Spitze von Publishern sitzen und ganz dolle weinen, wenn sie am Ende des Jahres keinen zweistelligen Millionenbetrag als Bonus bekommen.

Wir schweifen ab und ich krieg’ Blutdruck, zurück zur Lösung!

Es gibt bereits Seiten, die eine Lösung verfolgen und die ROM / ISO Files zu verschiedenen Systemen zur Verfügung stellen. Dies müsste man ausweiten und in eine Art von Archiv umsetzen, was sie ja rein technisch gesehen eigentlich schon sind. Wenn das steht, dann kann man darüber reden, dass man etwas Geld in die entsprechende Entwicklung von Emulatoren steckt. Es gibt zwar schon sehr viele, aber einige davon laufen eher schlecht als recht. Dies müsste ausgeweitet werden, sodass die Emulatoren auf der aktuellen Hardware von Konsolen und PCs laufen.

Mir ist bewusst, dass dieser Lösungsansatz wesentlich mehr Aufwand beinhalten würde, als es in meiner kurzen Beschreibung den Eindruck macht. Jedoch bin ich fest davon überzeugt, und die Beweise liegen in kleinen Häppchen überall verstreut, dass dies entsprechend möglich wäre. Selbst das Problem mit den Lizenzen würde sich lösen lassen, leider aber nicht mit der Gier und dem Geld! FN2

Ich krieg’ schon wieder Blutdruck!

Fazit

Immer wenn ich über dieses Thema nachdenke, stellt sich mir die Frage, was ich als Videospiel Enthusiast, Sammler und Nerd machen kann. Es gibt ja bereits Institutionen, die sich daran gemacht haben Videospiel Kultur zu bewahren, allen voran das Deutsche Computerspielmuseum und das Flipper- und Arcademuseum Seligenstadt. International ist hier die bereits erwähnte Video Game Historie Foundation an vorderster Front. (Natürlich gib es noch einige mehr!)

Doch ich habe auch immer noch den Gedanken, selbst etwas zu tun! Natürlich nicht mit meiner eigenen Sammlung, weil das ist ja meine Sammlung, aber eben eine Art Archiv aufzubauen.

Für alles Physische ist das ganz nüchtern betrachtet nur eine Frage des Geldes. Nimmt man genug Geld in die Hand, so lassen sich eBay, Retrobörsen & Co. leerkaufen und damit hätte man das abgedeckt. Natürlich mit einem entsprechenden System und möglichst so, dass nicht zu viele Dubletten im Archiv entstehen.

Allerdings fangen die Probleme genau hier an, denn all die Spiele, die nur digital erschienen sind, sind eben nur auf den Konsolen zu finden, auf denen sie zur jeweiligen Onlinezeit der Shops heruntergeladen (gekauft) wurden. Was ist mit denen?

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, gibt es Server, die sich dieser Spiele angenommen haben und auf einer gemoddeten Konsole zur Verfügung stehen (Fragt nicht nach Details!). Dies ist natürlich eine Möglichkeit, allerdings keine, die wirklich legal ist. Wird man zu solch einer Lösung gezwungen? Die Frage muss jeder für sich selbst beantworten.

Doch was allerdings nicht wegzudiskutieren ist, ist die Tatsache, dass ein Stück Videospielgeschichte bei all dem auf der Strecke bleibt. Gerade für mich ist das etwas äußerst Kritisches, denn ich beschäftige mich sehr intensiv mit diesem Medium und halte es für äußerst wichtig sowie eine Art von Zeitstempel. Doch wenn all dies verschwindet bzw. zum Teil nicht mehr verfügbar ist, dann werden Recherchen äußerst schwierig und wir verlieren auch einen Teil an Historie, denn wir haben kein Dokument (Medium Videospiel) mehr, welches verschiedene Ereignisse belegt.

So wie ich das hier auch schon mal unter Zeitstempel mit meinem Spider-Man Beispiel dargelegt habe.

Es ist ein vielschichtiges Thema, welches sich gewiss nicht von heute auf morgen lösen lässt. Und ja, manches ist vielleicht auch nicht so einfach wie ich es beschrieben habe oder mir vorstelle. Aber so kompliziert wie es den Eindruck macht, ist es garantiert auch nicht. Was feststeht ist, dass alle mal etwas aus dem Quark kommen sollten und etwas zu tun, um diese Kultur zu erhalten. Denn wer weiß, global betrachtet, wie viel bereits verschwunden ist und nie mehr auftaucht. Oder wie viel noch irgendwo auf einem Speicher verborgen liegt und ausgegraben werden sollte.

Eine provokante Frage zum Abschluss: Warum wird hier unterschieden zwischen Videospielen und anderen Medien? Warum werden Videospiele immer noch behandelt, als wären sie ein Nischenprodukt, welches es nicht wert ist zu bewahren?

Fußnoten

FN1
Natürlich gab es vorher schon Serverabschaltungen und auch danach, doch dieser war für mich etwas Prägendes und hängt mir tatsächlich auch heute noch nach.

FN2
Mit Häppchen meine ich, dass es bereits sehr viele Emulatoren für sehr viele Systeme, alt wie neu, gibt. Durch verschiedene Bemühungen der Hardwareentwickler sind diese nur nahezu vollkommen in die Illegalität gerückt worden. Und ja, ich weiß, der Emulator an sich ist erstmal nichts Illegales, aber bei den BIOS Files fängt es schon an, zu den ROM und ISO Files will ich gar nichts erst sagen (Bitte fragt auch nicht!). Nichtsdestotrotz ist durch die funktionierenden Emulatoren die Machbarkeitsstudie zum Teil bereits erfüllt.

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