English Version: A hand full of thoughts – Archive 81
Archive 81 ist so eine Serie, die man in den tiefen Archiven von Netflix irgendwann mal findet, ohne dass wirklich danach gesucht wurde. Nicht, dass man je wirklich etwas bei Netflix suchen würde, ich hab oft das Gefühl, dass das Meiste einen findet. Wir schweifen ab! Lasst uns mal schauen, warum man Archive 81 auf jeden Fall eine Chance geben sollte.
Story
Wir verfolgen die Geschichte von Dan, der sich mit der Restauration von alten Videobändern in jeglicher Form beschäftigt und damit auch sein Geld verdient. Von Virgil Davenport bekommt er eines Tages einen Auftrag, den er zuerst ablehnt, aber am Ende dann doch annimmt. Dabei soll er alte Videoaufnahmen von Melody Pendras restaurieren, welche beim Brandt im Visser Haus gerettet werden konnten. Allerdings soll er dies in einer abgelegenen Anlage von Davenports Firma L.M.G. machen, was schon äußerst merkwürdig ist.
Zuerst könnte man diesen ungewöhnlichen Auftrag noch als exzentrisch abtun, doch je weiter sich Dan mit den Aufnahmen von Melody beschäftigt, umso näher kommt er einem Kult artigen Zusammenschluss im Visser Haus. Dazu kommt noch, dass er eine Verbindung mit Melody teilt, denn sie kannte seinen verstorbenen Vater. Irgendwann taucht eine Art Gottheit namens Kaelego auf, die von dem bereits erwähnten Kult angebetet wird.
Zum Ende hin wird es immer mystischer und Dan sieht sich mit einem Snuff-Film konfrontiert, der ein Beschwörungsritual zeigt und in diesem Zusammenhang ein junges Mädchen geopfert wird.
Das feine Detail, welches ich nicht unterschlagen möchte, ist die Tatsache, dass Melody und Dan nicht zur gleichen Zeit leben. Die Aufnahmen, welche Dan restaurieren soll, sind von 1994, das Jahr in dem auch das Visser Haus abgebrannt ist. Der mysteriöse Snuff-Film ist von 1924 und Dan selbst lebt im Jahre 2022.
Pacing / Storytelling
Es fühlt sich an, als würde man die illustrierte Version eines bereits gelesenen Buches durchblättern. Langsam, mit Bedacht und Sorgfalt, nicht zu gehetzt oder aufdringlich.
So in etwa fühlt sich auch Archive 81 an und damit muss man zurechtkommen können. Bis auf das Ende, zudem ich noch später komme, wird dadurch alles etwas langsamer erzählt, Dinge und Charaktere entwickeln sich dezent langsamer. Jedoch ist das in diesem Fall überhaupt kein Problem, denn aufgrund der beiden Zeitlinien und dann später noch derer, in der das Beschwörungsritual stattfindet, entstehen keine Längen.
Ansonsten merkt man sehr schnell, dass nahezu jeder Charakter aus dem, nennen wir ihn Hauptcast, so seine kleinen Geheimnisse hat und die werden nach und nach gelüftet. Auch hier sind die Entwicklung angenehm über die acht Folgen verteilt und wirken selten unglaubwürdig oder nicht nachvollziehbar.
Besonderheiten
Die Serie zeichnet sich für mich dadurch aus, dass sie handwerklich sehr gut gemacht ist. Sie fühlt sich nicht an wie ein Produkt vom Fließband, eher wie etwas, was mit viel Sorgfalt und der ein oder anderen Extraschicht kreiert wurde.
Bemerkbar macht sich das durch viele Szenen, die extrem gut ausgeleuchtet sind, ein anständiges color grading haben und nicht allzu überladen wirken, auch wenn gerade sehr viel passiert. Man hat sich Zeit genommen, nicht nur zum Erzählen der Geschichte, sondern auch für die Szenen, die im Drehbuch vielleicht eher als Füller deklariert sind. Das merkt man!
Meine Intention sagt mir, dass dies am meisten Szenen zum Vorschein kommt, sobald Dan sich im abgeschiedenen Haus von Davenport befindet. Doch grabe ich etwas tiefer in meinen Erinnerungen, so ist dies auch der Fall zu Anfang der Serie, als Dan in New York ist und seinem Job nachgeht. Genauso aber auch, wenn Melody sich im Visser Haus aufhält. Natürlich auch später, wenn wir uns erzählerisch auf dem Weg zum Beschwörungsritual befinden.
Doch all das hier erwähnte hat leider einen nicht allzu kleinen Wermutstropfen, denn die Serie ist dem Streaming-Cut (FN1) zum Opfer gefallen. Das Ende ist so offen, wie man es sich nur vorstellen kann. Es gibt eine Art Finale, welches nochmal vollgepackt mit okkulten und mystischen Ereignissen ist und die letzten Einstellungen offenbaren, dass hier gewiss noch einiges hätte erzählt werden sollen. Doch es gibt einen Cut und der Zuschauer wird in der Luft hängen gelassen.
Fazit
In all dem Serieneinheitsbrei ist es schön zu sehen, dass es immer noch solche Serien wie Archive 81 gibt. Serien, die einen Unterschied machen und hervorstechen, auch wenn sie im Katalog von Netflix gut versteckt waren.
Und wenn ihr eventuell merkt, dass hier auch etwas Frust mitschwingt, dann liegt ihr nicht falsch. Denn als ich vor kurzem Der Junge und der Reiher mir im Kino angeschaut habe, liefen zuvor einige Trailer von Filmen (Red One – Alarmstufe Weihnachten (FN2), Gladiator II, Venom III), die bald erscheinen werden. Viel CGI, über kandierte „Schauspieler“ und noch einiges mehr störte mich bereits beim Schauen an den Trailern. Nach dem erwähnten Hauptfilm fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass wir uns in einem Kino Zeitalter befinden, in dem in den hiesigen Spielhäusern zu mindestens 90 Prozent nur noch seelenlose Produktionen gezeigt bekommen.
Dies soll AUF KEINEN FALL ein Vorwurf an die Lichtspielhäuser sein, die können nichts dafür und müssen schauen, wo sie bleiben. Nein, mir geht es eher um das, was mittlerweile als Filme durchgehen, die vollgepackt sind mit unnötigen CGI Einstellungen, Schauspielern die nur noch stereotypen mimen und von all dem politischen will ich gar nicht erst anfangen (FN3).
Mir werden von Netflix immer wieder Serien empfohlen, mit der Anmerkung „Das könnte dir gefallen“ und bisher hat Netflix nie recht behalten. Denn leider, sind solche Serien selten und es gibt sie nicht so oft wie der Algorithmus von Netflix es gerne hätte. Doch solche Serien sollte es öfter geben!
Handwerklich gut gemacht, ein angenehmes Storytelling inkl. passendem Pacing. Alles hübsch verpackt in acht bis zehn Folgen und bitte mit einem Abschluss. Ein Abschluss ist nichts Schlimmes, auch daraus kann man noch eine weitere Staffel bauen, jedoch verliert man bei diesen offenen Serien ohne Abschluss immer mehr das Vertrauen und möchte sich nicht auf etwas Neues einlassen, äußerst schade!
Fußnoten
FN1
Eine Zeit lang gab es das fast nur bei Netflix, doch mittlerweile spielen alle Streaming Dienste dieses Spiel und haben sich angewöhnt, sobald eine Serie gewiss Zahlen nicht erfüllt, sie abzusetzen. Selten geschieht es, dass die Serie dabei einen abschließenden Film (Firefly) oder eine kurze Staffel (Madam Secretary) spendiert bekommt. Die Regel ist, dass die Serie einfach nicht fortgesetzt wird und fertig, man geht zum nächsten Programmpunkt über. Es gibt gewiss einen richtigen Namen dafür, ich nenne es „Streaming-Cut“.
FN2
Ich wünschte, deutsche Verleiher würden mit diesen unnötigen Untertiteln aufhören, die einem das Gefühl geben, man wäre zu dämlich, um zu verstehen, worum es in dem Film geht. Tut mir leid für euch, wenn ihr euch bei diesen Titeln so fühlt und noch was dran packen müsst, aber bitte wälzt das nicht auf das Publikum ab.
FN3
Bevor ich wieder falsch verstanden werden, NEIN, ich habe nichts gegen Repräsentation oder ähnliche Dinge, die im heutigen Film immer wichtiger werden. Was ich anprangere ist die plumpe, unkreative und uninspirierte Art wie es gemacht wird.
Japanologie & Soziologie Student an der Goethe Uni Frankfurt. Geboren 1979 in eine Zeit die von Star Wars, Pixeln und Zeichentrick Serien geprägt war. Nerd mit Herz und Leidenschaft. Cineast, Comic Liebhaber mit einem Faible für spannende Erzählungen. Videospiel- und Serienjunkie, geformt in einer Zeit die heute als Retro bekannt ist. Ehemaliger Game Artist aber immer noch eine Affinität zur digitalen Kunst.